Interview mit Sophia Frese
Set Your Life on Fire
Können Sie kurz erklären, wie Sie Ihre Kunst beschreiben würden?
Meine großen abstrakten Arbeiten stelle ich mir als Psychographie vor, Landschaften, in denen Innen- und Außenwelten miteinander sprechen. Es sind Kompositionen aus Farbe und Form, die Schwingungen erzeugen und immer in einem Spannungsfeld von Figuration und Abstraktion, Transparenz und Opazität arbeiten. Das Großformat ist für mich wesentlich, weil es die direkte, körperliche Beziehung zwischen mir und der Leinwand ermöglicht—eine Art Tanz, in dem ich mich zur Leinwand verhalte.
Ich arbeite aber auch auf Papier in kleinformatigen Werken, in denen ich an einer abstrakten Alchemie der Formen arbeite, die manchmal auf den Leinwänden wieder auftauchen. Körperlichkeit ist etwas, das in diesem Format auch eine Rolle spielt, durch die ich Verlust und Lust erforsche. Wie in Shadow Work, eine Serie, in der ich Carl Gustav Jungs Idee des Schattens aufgreife, der sich hinter unserer Maske bewegt, der unseren unbewussten Anteil darstellt, unser ungelebtes Potential.
Welche Rolle spielt Farbe in Ihrer Arbeit?
Farbe ist nicht nur ein visueller Reiz für mich, sie trägt eine Vibration in sich, eine Atmosphäre, einen Rhythmus und einen Ton. Diese Dimension hat auch eine semantische Überschneidung zur Musik, besonders im Deutschen, wo Farbe und Klang oft in einem gemeinsamen Feld existieren. Wie beispielsweise Eisenoxid, ein Pigment, mit dem ich in Mexiko gearbeitet habe, das eine tiefe, warme Schwingung hat.
Die bleiche Berliner Wintersonne, der Indigo Nachthimmel wie die Körperhöhle eines Urwesens – manche Farben lassen mich nicht los: Das Neongrün eines nordischen Frühlingswaldes oder die rote, vulkanische Erde Mauis, die fast zeitliche Tiefe von Schwarz, solche Erfahrungen werden für mich zu einer Obsession, die Ausgangspunkt einer Serie werden.
Mich interessiert auch die kulturelle und emotionale Besetzung von Farben, von bodenloser Anpassung bis zum Grellen, von Stille und Lautstärke. In Arbeiten wie Gamma Rays, einem sieben Meter langen, site-specific Werk, dass ich auf einem Berliner Kunst-Festival ausgestellt habe, spielt die große Leinwand wie ein Bluescreen mit einer Form von Camouflage, die gleichzeitig den Himmel auf die Erde holt, und das Oben und Unten zusammenbringt, wie ein Wasserspiegel. Diese Arbeit ist ein spannungsgeladener Raum, der die Grenze zwischen menschengemachtem und außermenschlicher Kreation verschwimmen lässt.
Eine weitere Arbeit, Moonwalk, die fluoreszierende Pigmente verwendet, arbeitet mit Farbe wie mit einem Nebelhorn, einem Signal durch eine undurchsichtige Galaxie – als eine Art Interaktion zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren. Farbe ist in dem Fall nicht nur eine optische Erscheinung, sondern ein Akteur, der die Wahrnehmung und die Realität selbst transformiert.
Blau spricht für mich von atmosphärischer Weite und ist mir tief verwandt, oder um aus Maggie Nelsons Band Bluets zu zitieren: “That this blue exists makes my life a remarkable one, just to have seen it.” Neben dieser Liebe, interessiert mich auch die Idee von abstoßenden oder gänzlich unerwarteten Farbkombinationen, ich muss es einfach ausprobieren, so wie manche Leute an seltsamen Dingen riechen müssen; weil diese Kombinationen unser Verständnis von Schönheit, Ästhetik und Wahrnehmung in Frage stellen.
Wie entscheiden Sie sich für die Formen und Texturen in Ihren Werken?
Formen entstehen aus Bewegung, aus dem körperlichen Dialog mit der Leinwand. Es geht um Spuren, um eine nonverbale Sprache, um das Erzählen jenseits des Bekannten. Körperlichkeit wird zur Form, aber auch zum Zerfall. Das Biomorphe und sein Übergang ins Abstrakte ziehen mich an – vielleicht weil es beides beinhaltet: archaisch und doch unfassbar. Ich erkunde diese Spannung zwischen Entstehen und Vergehen als eine visuelle Resonanz eines existentialistischen Erlebens – eine Art Echo der menschlichen Erfahrung: Roh, direkt, fragmentarisch. Eine Leinwand ist für mich ein anderer Planet, den ich terraforme. Struktur ist durch die Sedimente des Experimentierens da, aber auch, weil ich selbst gerne Bilder immer anfassen möchte, etwas Haptisches in ihnen sehe, das in den Raum reicht.
Gibt es bestimmte Materialien, mit denen Sie besonders gern arbeiten?
Ja, ich arbeite besonders gern mit Rohpigmenten, die ich selbst mische – zu Temperafarben, mit eigenen Ölen und unterschiedlichen Bindern. Dadurch erhalten meine Bilder eine tiefere, lebendigere Farbqualität als mit einer industriell vorgemischten Palette. Auch organische Materialien, wie Pflanzenteile, tauchen immer wieder auf meiner Leinwand auf, fast so, als würden sie ihren eigenen Weg dorthin finden. Im Sinne des Terraformings – ein Eingriff in die Oberfläche, aber auch ein Echo dessen, wie Materie sich formt, vergeht und neu entsteht.
Leinwand nehme ich gern unbehandelt – roh, direkt, offen. Ich träume von schwerem, seidigem Leinen. Angefangen habe ich in den USA auf Holz, mit seiner harten und doch beweglichen Präsenz, die eine andere Form von Dialog verlangt. Jedes Material bringt seine eigene Sprache mit, seine eigene Art mitzuspielen.
Das unverschämte an einigen Materialien ist doch eigentlich, dass sie uns überleben, ebenso wie die Arbeiten, die wir machen, im Vergleich leuchten wir nur einen Moment auf, bevor wir verblassen.
Wie sieht Ihr kreativer Prozess aus? Haben Sie bestimmte Rituale oder Routinen?
Zuerst trinke ich immer einen Kaffee – dann lege ich los, mit Musik. Ein Album begleitet mich manchmal in Dauerschleife, bis es eins mit dem Raum wird. Miles Davis’ Kind of Blue hat mich so sehr verfolgt, dass daraus eine ganze Serie entstanden ist. Dann brauche ich einen Bassdrop, der mir einen Rhythmus gibt und Energie, mindestens so viel wie Koffein. Oder ich verliere mich in barocker Musik, in ihrer Melancholie und Festlichkeit. Musik ist kein Hintergrundgeräusch für mich, sie lenkt meinen Fokus, öffnet Räume, gibt Tempo vor.
Lesen gehört genauso dazu. Ich lese immer und ein bestimmter Satz kann mich festhalten, oder eine Idee, wie das Sexleben von mythologischen Figuren. Ich reagiere darauf, wie in einem Gespräch, mit Farbe, in Geste und Form.
Ich fange intuitiv an, trete zurück, reagiere, interagiere bewusst mit dem, was mich geistig beschäftigt. Ein fester Plan wäre für mich tödlich – ich muss überrascht werden, neu sehen und dem Unvorhersehbaren Platz machen. Das geht nur, wenn man improvisiert, wenn der Prozess fließend und offen bleibt. Die Leinwand ist ein Ort des Dialogs, nicht der Kontrolle. Ich übermale, kratze ab, lasse Dinge stehen, zerstöre sie wieder.
Welche Themen interessieren Sie am meisten in Ihrer Kunst?
Mich interessieren Themen, die sich nicht festlegen lassen – Übergänge, Transformation, das Fragmentarische. Ich arbeite mit der Spannung zwischen Form und Auflösung, zwischen Materialität und Flüchtigkeit. Körperlichkeit spielt eine zentrale Rolle: als Spur, als Bewegung, als etwas, das entsteht und vergeht.
Die Idee des Welt Erschaffens ist für mich auch wichtig – ein Terraforming auf der Leinwand. Farben und Materialien sind nicht nur Mittel, sondern autonome Elemente, die sich ausbreiten, überlagern und verdrängen. Alles bleibt in Bewegung. Auch das Nicht-Sichtbare ist Teil der Arbeit – das, was verdeckt, ausgelöscht oder nur angedeutet ist.
Als jemand, der aus der Literatur kommt, fasziniert mich das nicht-symmetrische Verhältnis zwischen Sprache und Bild. Worte lassen sich nicht einfach in Malerei übersetzen – da bleibt immer eine Spannung, ein Bruch. Ich arbeite mit dieser Asymmetrie, die sich nicht auflöst, sondern sich in Schichten verdichtet. Meine Bilder erzählen nicht linear – sie funktionieren eher wie Musik, mit Rhythmus, Wiederholungen, Pausen und plötzlichen Brüchen.
Mich interessieren Zustände des Exzesses und des Zerfalls, aber auch das Zarte, das Flüchtige. Es geht nicht um die glatte Oberfläche, sondern um das, was sich verändert, was aufbricht, was neue Räume schafft. Ein Bild ist für mich nie eine endgültige Aussage, sondern ein Prozess, eine Spur von etwas, das in Bewegung bleibt.
Welche Künstler:innen inspirieren Sie?
Mich interessieren Künstler:innen, die Malerei als etwas Offenes, Prozesshaftes verstehen – Cecily Brown fasziniert mich mit ihrer Fähigkeit, Figuration und Abstraktion ineinander fließen zu lassen – Körper tauchen auf, verschwinden, lösen sich in Farbe auf, ich mag das sie oft mit anderen Bildern beginnt, als eine Art kunsthistorisches Sprungbrett. Joan Mitchell liebe ich für ihre physischen, musikalischen Gesten – Malerei als Rhythmus. Francis Bacon beeindruckt mich mit der Deformation des Körperlichen, seinen Figuren, die zwischen Fleischlichkeit und Abstraktion schweben. Cy Twombly, der Gott der verschwindenden Galaxien. Katharina Grosse denkt Farbe nicht als Fläche, sondern als Eingriff in den Raum – Malerei, die sich ausdehnt, Oberflächen transformiert und jeder Begrenzung trotzt, da kann ich nicht widerstehen. Und Miriam Cahn mit der Körperlichkeit ihrer Bilder – roh, intuitiv, voller Intensität. Tracey Emin mit ihrem zeichnerischen, freien Zärtlichkeit auf großer Leinwand: Verletzlich, persönlich und gleichzeitig so wie wir alle.
Ich mag auch meine Freunde, die ich jetzt nicht alle aufzählen kann, Susanne Schirdewahn mit ihren rebellischen Heldinnen, Nicolás Guzmán, der immer weiter denkt, träumt und macht und Valentina Attollini, die auf Papier und Leinwand regelrecht einen Sturm ausbrechen lässt.
Lesen Sie oft Bücher oder Texte, die Ihre Kunst beeinflussen? Wenn ja, welche?
Beim Lesen bin ich ein Allesfresser, aber sicher hat die Lyrik mit ihrer moment haften Sprache einen besonderen Platz in meiner Arbeit. Die brillante Emily Dickinson zum Beispiel, ihr Gedicht Rowing in Eden war titelgebend für ein Bild, das zuletzt in einer Galerie in Mexico City hing. Dickinsons Sprache besitzt etwas Ekstatisches, ein Schwimmen und Schweben, mit dem ich auch visuell spiele. Auch Rumis Werk lässt mich nicht los—sein Gedicht In Your Light enthält eine Zeile, die ich wörtlich als Bildtitel übernommen habe, weil sie mich so bewegt: „Set your life on fire“, ein Aufforderung sich nicht einfach einzurichten im eigenen Leben, sondern nach dem zu suchen, was uns in Brand setzt. Mit diesem Brennen ist auch die gleichnamige Arbeit entstanden.
Ich liebe auch philosophische Texte wie z.B. Adorno in seiner Poetik und mit seinem politischen Scharfsinn, und zeitgenössische Autoren wie Rachel Cusk mit ihrer seltsamen Art, Innen- und Außenräume in Beziehung zu setzen. Shakespeare mit seinem Sinn für menschliche Abgründe, Virginia Woolfs bewusstseinsströmenden Wahrnehmungswelten, all das begleitet mich. Nicht zu vergessen Quantenphysik und Science-Fiction-Autor:innen wie Margaret Atwood, China Miéville oder Octavia Butler, deren Werke unsere Realität radikal infrage stellen.
Gerade sie zeigen mir, wie sehr Literatur, ähnlich wie die Kunst, gegen die Vorstellung einer monotonen, eng geführten Welt anschreiben kann, einer Welt, die wie in einem Trichter unausweichlich auf die Katastrophe zuläuft.
Literatur hilft, genauso wie Kunst, anders zu denken und neue Welten zu imaginieren. Wie kann man da nicht lesen?
Was möchten Sie mit Ihrer Kunst ausdrücken oder beim Publikum auslösen?
In der Abstraktion liegt für mich ein Versprechen—das Versprechen einer anderen Realität, die unmittelbar neben uns existiert, die wir fast greifen können, wenn wir nur genau genug hinsehen. Genau diesen Raum möchte ich mit meiner Malerei öffnen, eine Einladung, unsere gewohnte Wirklichkeit zu verlassen und die Möglichkeit einer anderen, unmittelbar erreichbaren Welt zu entdecken. Der Physiker und Einstein Schüler John Wheeler hat die Idee formuliert, dass das Universum auf eine rätselhafte Weise „partizipativ“ sei—und ich glaube, dasselbe gilt auch für die Kunst. Eine Arbeit wird jedes Mal neu, wenn jemand sie betrachtet. Wir stehen immer Schulter an Schulter mit dem Potential, das an das Vertraute angrenzt, oder aus ihm erwächst. Durch die Vorstellungskraft können wir etwas erschaffen, das uns entspricht. Wenn wir begreifen, dass unsere Vorstellungskraft realitätsbildend ist, dann können wir Offenheit aus dem Determinismus gewinnen und Künstler:innen im Sinne von Beuys werden. Das ist auch dringend nötig.